Anfrage: Zukunftsprogramm Geburtshilfe

Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Hans Urban (BÜNDNSI 90/DIE GRÜNEN) vom 10.01.2020 + Antwort des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 18.01.2020.

1.a) Inwieweit sieht die Staatsregierung durch ihre Förderprogramme ihr Ziel erreicht, dass Geburtshilfe im Freistaat „auf hohem Niveau flächendeckend“ zur Verfügung steht?
Aus Sicht der Bayerischen Staatsregierung stehen den werdenden Müttern im Freistaat Bayern flächendeckend qualitativ hochwertige Geburtshilfeangebote zur Verfügung.
Die zweite Fördersäule des Förderprogramms Geburtshilfe leistet einen wesentlichen Beitrag dazu, dass Krankenhausträger für die Versorgung notwendige Geburtshilfestationen nicht aus finanziellen Erwägungen heraus schließen. Gleichwohl können andere Gründe, insbesondere Personalnot, zur (vorübergehenden) Schließung von Geburtshilfestationen zwingen. Gerade in diesen Fällen kommt dann die erste Fördersäule des Förderprogramms mit dem Ziel der Sicherung der geburtshilflichen Versorgung durch die sicherstellungsverpflichteten Landkreise und kreisfreien Städte gemein-sam mit dem Hebammenbonus und der Niederlassungsprämie für Hebammen zum Tragen, um die ausreichende Versorgung mit Hebammen zu gewährleisten.
In jedem Fall gilt aber, dass die Versorgung mit geburtshilflichen Leistungen an Krankenhäusern in Bayern steten Veränderungen unterworfen ist und dies auch künftig sein wird.

1.b) Nach welchen Kriterien wertet die Staatsregierung die flächendeckende Versorgung auf hohem Niveau aus?
Mit über 100 Geburtshilfeabteilungen in ganz Bayern, davon über 60% im ländlichen Raum, ist die akutstationäre geburtshilfliche Versorgung der werdenden Mütter flächendeckend auf hohem Niveau gesichert.
Hierfür verfolgt die Krankenhausplanung nicht abstrakte Ideen oder Kriterien, sondern muss jeweils konkrete, funktionierende Lösungen für die individuelle Situation vor Ort erreichen. Ausgangspunkt ist daher immer die tatsächliche Inanspruchnahme durch die Patientinnen und Patienten, nicht eine abstrakte Festlegung eines vermeintlichen „objektiven“ Bedarfs an bestimmten medizinischen Leistungen. Die in der zweiten Fördersäule des Zukunftsprogramms Geburtshilfe definierten Fördervoraussetzungen sind ein Indikator für die Versorgungslage vor Ort, aus genannten Gründen jedoch nicht abschließend.

1.c) Wie erfolgt die Evaluation?
Vor Ablauf der Richtlinie zur Förderung der Geburtshilfe in Bayern (Geb-HilfR) ist eine Evaluation dahingehend geplant, ob und welche Veränderungen der Versorgungssituation im Bereich der Geburtshilfe während der Laufzeit der Förderrichtlinie zu verzeichnen gewesen sind. Diese Veränderungen werden dann im Hinblick auf die konkrete Versorgungssituation vor Ort bewertet und ggf. erforderliche Anpassungen am Förderprogramm abgeleitet.

2.a) Wie viele Landkreise oder kreisfreie Städte haben seit Auflage des Förderprogramms aus dem Förderprogramm insgesamt profitiert (Bitte um Auflistung nach Jahr, Landkreis/kreisfreier Stadt und Fördersumme)?
Das Förderprogramm Geburtshilfe verfügt über die in den Fragen 2.b und 2.c genannten Säulen. Es wird daher auf die Antwort zu diesen Fragen verwiesen.
2.b) Wie viele Landkreise oder kreisfreie Städte haben seit Auflage des Förderprogramms aus Säule 1 profitiert (Bitte um Auflistung nach Jahr, Landkreis/kreisfreier Stadt und Fördersumme)?
Die Informationen hierzu wurden bereits in der Anfrage zum Plenum der Abgeordneten Christina Haubrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) betreffend „Förderung Geburtshilfe“ (LT-Drsnr. 18/3213) mitgeteilt.
Ergänzungen ergeben sich für das Förderjahr 2019 in Bezug auf die nachfolgend genannten Landkreise bzw. kreisfreien Städte:

Kreisfreie Stadt/ Landkreis Höhe der Förderung
Stadt Landshut 32.160,00 €
Landkreis Nürnberger Land 25.720,00 €

2.c) Wie viele aus Säule 2 (Bitte um Auflistung nach Jahr, Landkreis/kreis-freier Stadt und Fördersumme)?
Für das Förderjahr 2019 konnte folgenden Landkreisen eine Förderung bewilligt werden:

3.a) Inwieweit erkennt die Staatsregierung im 50%-Kriterium eine Benachteiligung von Landkreisen mit kleineren Geburtshilfestationen aber hohem Neubürger*innenanteil?
3.b) Widerspricht die 50%-Regelung aus Sicht der Staatsregierung ihrem Ziel, Geburtshilfestationen in ländlichen Räumen flächendeckend zu gewährleisten?

Aufgrund des Sachzusammenhangs werden die Fragen 3a) und 3b) ge-meinsam beantwortet.
Aus Sicht der Bayerischen Staatsregierung steht das 50-%-Kriterium dem Ziel des Förderprogramms Geburtshilfe nicht entgegen. Zum einen gelten die Überlegungen zu diesem Förderkriterium, das einen maßvollen Kompromiss zwischen den in der Antwort auf Frage 5.1 der Drucksache 17/23603 näher dargelegten Aspekten darstellt, insoweit unverändert (siehe hierzu auch die Antwort auf die Fragen 4.b, 4.c und 5.a dieser Anfrage). Zum anderen sind nach Nr. 2.3.2.2 GebHilfR für besonders große oder besonders dünn besiedelte Landkreise, in denen das 50-%-Kriterium nur schwer zu erreichen ist, Ausnahmen vom 50-%-Kriterium vorgesehen. So erhält ein Landkreis bei Nichterfüllung des 50-%-Kriteriums die Förderung auch dann, wenn die Fläche des Landkreises 1.400 Quadratkilometer überschreitet oder die durchschnittliche Zahl der Einwohner pro Quadratkilometer 100 nicht übersteigt; zur Vermeidung etwaiger Härten gilt die Ausnahme auch, wenn beide Kriterien kumulativ um nicht mehr als je 10 % unter- bzw. überschritten werden, also die Fläche des Landkreises 1.260 Quadratkilometer überschreitet und die durchschnittliche Zahl der Einwohner pro Quadratkilometer 110 nicht übersteigt. Zudem ist es nach Nr. 2.3.2 GebHilfR ausreichend, wenn das Krankenhaus die Kriterien nach den Nrn. 2.3.2.1 und 2.3.2.2 in dem dem Jahr der Bewilligung vorangegangenen Kalenderjahr, in dem das Defizit entstanden ist, oder in einem der beiden diesem Jahr vorangegangenen Kalenderjahre jeweils bezogen auf das betreffende Kalenderjahr erfüllt hat.

4.a) Inwieweit sieht die Staatsregierung ihre Absicht hinter dem 50%-Kriterium erfüllt, dass Krankenhäuser, die sich als Hauptversorger in der Region etabliert haben, durch Fördergelder aus Säule 2 unterstützt werden (vgl. Antwort 5.1 auf Drucksache 17/23603; Bitte um konkrete Belege)?
Die Staatsregierung sieht sich anhand der bisher bewilligten Förderungen an 26 Landkreise für 27 Kliniken mit einem Gesamtvolumen von rund 16 Millionen Euro (siehe Antwort auf Frage 2.c) in den gewählten Förderkriterien bestätigt.

4.b) Inwieweit ist nach Ansicht der Staatsregierung aus den Erfahrungen aus der Praxis die Argumentation aus Antwort 5.1 auf Drucksache 17/23603 stichhaltig, dass durch Umsetzung des 50%-Kriteriums der Forderung von Fachgesellschaften, die aus qualitativen Gründen eine zu geringe Geburtenzahl an Krankenhäusern kritisch sehen, Rechnung getragen wird?
4.c) Warum reicht zur Gewährleistung dessen aus Sicht der Staatsregierung Kriterium 1 (300 bis 800 Geburten/Jahr) nicht aus, um beim Defizitausgleich für eine gerechte Behandlung der Krankenhäuser/Landkreise sorgen?
5.a) Inwieweit ist die Staatsregierung der Ansicht, dass die Qualität der Versorgung auf einer Geburtshilfestation im Landkreis A einen direkten Zusammenhang mit gemeldeten neugeborenen Neubürger*innen im Landkreis A hat, auch wenn diese nicht in Geburtshilfestationen innerhalb des Landkreises A geboren worden sind (vgl. Antwort auf Punkt 5.1, Drucksache 17/23603; bitte den konkreten Sachzusammenhang erläutern)?

Aufrund des Sachzusammenhangs werden die Fragen 4b), 4c) und 5a) gemeinsam beantwortet.
Wie bereits in Antwort auf Frage 5.1 der Drucksache 17/23603 erläutert, sehen Fachgesellschaften eine zu geringe Geburtenzahl an Krankenhäusern aus qualitativen Gründen kritisch. Die Förderung bei einer geringen Geburtenzahl, die auch regelmäßig zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten auf Seiten des Trägers und damit einhergehenden Sparzwängen führt, ist aus Sicht der Förderrichtlinie daher auf solche Krankenhäuser begrenzt, die über eine gewisse Zahl von Geburten verfügen und sich zugleich – sofern nicht die hierfür vorgesehenen Ausnahmen greifen – als Hauptversorger in der Region etabliert haben. Denn der Freistaat Bayern ist zwar einerseits bereit, im Interesse einer möglichst flächendeckenden Versorgung kleinteilige Strukturen bei einem geringen Versorgungsbedarf vor Ort zu fördern, er tut dies aber andererseits auch mit Blick auf die Qualität der Versorgung und den Steuerzahler nur dort, wo es wirklich die Mehrheit der Entbindenden betrifft. Dadurch soll ausgeschlossen werden, dass für Krankenhäuser eine Förderung gezahlt wird, die von der Mehrheit der Schwangeren im Einzugsbereich nicht aufgesucht werden, weil offensichtlich besser ange-nommene Alternativen bestehen (Stichwort: „Abstimmung mit den Füßen“). Ausnahmen vom 50-%-Kriterium sind nach Nr. 2.3.2.2 GebHilfR bei besonders großen oder besonders dünn besiedelten Landkreisen vorgesehen, in denen das 50-%-Kriterium nur schwer zu erreichen ist.

5.b) Wie viele Kliniken haben 2018 weniger als 300/mehr als 800 Geburten im Jahr verzeichnet (aufschlüsseln nach Klinik, Träger und Bezirk)?
Im Jahr 2018 hatten zehn Krankenhausstandorte in Bayern weniger als 300 Geburten zu verzeichnen. Davon entfallen fünf Nennungen auf Krankenhausstandorte, in denen die Geburtshilfestation – obgleich im Krankenhausplan ausgewiesen – im Jahr 2018 vorrangig aus Personalmangel nicht betrieben wurde. An weiteren drei Krankenhausstandorten (Wertachklinik Schwabmünchen, Kliniken an der Paar Krankenhaus Aichach und Kreisklinik Wolfratshausen) waren aus denselben Gründen kurzfristige Schließungen zu verzeichnen:

An 51 Krankenhausstandorten in Bayern waren mehr als 800 Geburten zu verzeichnen:

5.c) Wie viele Kliniken haben 2018 das Kriterium 300 bis 800 Geburten/Jahr (Punkt 2.3.2.1 der GebHilfR) erfüllt, profitieren aber nicht von einer Bezuschussung zum Defizitausgleich, weil sie das 50%-Kriterium (Punkt 2.3.2.2) nicht erfüllt haben (aufschlüsseln nach Klinik, Träger und Bezirk)?
Im Jahr 2018 war an insgesamt 48 Krankenhausstandorten das Kriterium nach Nr. 2.3.2.1 der GebHilfR (mindestens 300 und höchstens 800 Geburten) erfüllt. Hiervon haben 9 Krankenhäuser das Kriterium nach Nr. 2.3.2.2 (50-%-Kriterium) nicht erfüllt:

Klarstellend wird darauf hingewiesen, dass diese Liste nicht den im Förderjahr 2019 nach der GebHilfR grundsätzlich berechtigten Krankenhäusern entspricht. Nach Nr. 2.3.2 GebHilfR ist ausreichend, wenn das Krankenhaus diese Kriterien in dem dem Jahr der Bewilligung vorangegangenen Kalenderjahr, in dem das Defizit entstanden ist, oder in einem der beiden diesem Jahr vorangegangenen Kalenderjahre jeweils bezogen auf das betreffende Kalenderjahr erfüllt hat. Außerdem sind die weiteren Voraussetzungen nach den Nrn. 2.3.1 und 2.3.3 bis 2.3.6 GebHilfR zu erfüllen und im Antrag nach Nr. 2.5 GebHilfR nachzuweisen.

6.a) Wie viele Neugeborene aus dem Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen wurden 2018 in Kliniken der Nachbarlandkreise geboren und anschließend im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen als Neubürger*innen gemeldet?
Laut Bayerischem Landesamt für Statistik wurden im Jahr 2018 1314 geborene Kinder für den Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen verzeichnet. In den Nachbarlandkreisen kamen 944 Kinder in Krankenhäusern auf die Welt, deren Mütter ihren Wohnsitz im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen haben. Informationen über den Ort der Anmeldung dieser Neugeborenen liegen nicht vor.
6.b) Auf welche Geburtenstationen in den Nachbarlandkreisen verteilen sich diese Geburten?
Die 944 in einer Geburtsstation in einem Nachbarlandkreis geborenen Kin-der kamen im Krankenhaus Agatharied (223 Geburten), am Klinikum Starnberg (579 Geburten), am Krankenhaus Schongau (1 Geburt), sowie am Klinikum Garmisch-Partenkirchen (141 Geburten) zur Welt.
6.c) Wie viele Kinder von im Landkreis München wohnhaften Eltern wurden 2018 im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen geboren und im Landkreis München gemeldet?
Im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen kamen 7 Kinder in Krankenhäusern auf die Welt, deren Mutter ihren Wohnsitz im Landkreis München hat. Informationen über den Ort der Anmeldung dieser Neugeborenen liegen nicht vor.

7.a) Inwieweit hält es die Staatsregierung für tragbar, dass Landkreise, die eine eigene Geburtshilfeeinrichtung unterhalten (300 bis 800 Geburten/Jahr), jedoch aufgrund des 50%-Kriteriums von Säule 2 des Förderprogramms ausgeschlossen sind, für benachbarte Landkreise ohne eigene Geburtshilfe das Defizit indirekt mittragen müssen (z.B. Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen)?
Im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen wird an der Kreisklinik Wolfratshausen eine Geburtshilfestation als Außenstelle des Klinikums Starnberg betrieben.
Nach Art. 51 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Landkreisordnung sind Landkreise – unabhängig von einem etwaigen Defizit – verpflichtet, die erforderlichen Krankenhäuser und Geburtshilfestationen für die Menschen vor Ort zu betreiben. Die Wahrnehmung dieser Aufgabe obliegt den Landkreisen im eigenen Wirkungskreis. Eine etwaige kommunale Zusammenarbeit bleibt den Landkreisen und kreisfreien Städten auch in dieser Thematik unbenommen.
Soweit werdende Mütter auch Krankenhäuser benachbarter Landkreise aufsuchen, verringern diese zusätzlichen Geburten nach dem bundesseitig vorgegebenen Vergütungssystem über Fallpauschalen grundsätzlich ein etwaiges Defizit des Krankenhauses aus betriebswirtschaftlicher Sicht und wirken sich zudem positiv auf die Erfüllung des 50-%-Kriteriums aus.

7.b) Sieht die Staatsregierung die Notwendigkeit gegeben, das Förderprogramm bzgl. des 50%-Kriteriums zu ändern (bitte um Begründung)?
Aus Sicht der Staatsregierung besteht derzeit keine Notwendigkeit, die bestehende, bewährte Regelung mit dem 50-%-Kriterium und den vorgesehenen Ausnahmen zu ändern. Die bisherigen Förderungen zeigen vielmehr, dass die zweite Fördersäule des Förderprogramms Geburtshilfe einen wesentlichen Beitrag dazu leistet, dass Krankenhausträger für die Versorgung notwendige Geburtshilfestationen nicht aus finanziellen Erwägungen heraus schließen. Die bereits mehrfach dargelegten Argumente für die Einführung des 50-%-Kriteriums bestehen unverändert fort.
7.c) Inwieweit befindet die Staatsregierung das Förderprogramm für rechtssicher (Bitte um Nennung gegebenenfalls vorliegender Klagen gegen das Förderprogramm)?
Aus Sicht der Staatsregierung ist das Förderprogramm in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vorschriften ausgestaltet. Derzeit liegen keine Klagen gegen Bescheide im Rahmen beider Fördersäulen des Förderprogramms vor.